Mein Name ist Ulrike Schurr-Schöpfel. Ich spreche für den AK Shalom für Gerechtigkeit und Frieden an der KU Eichstätt-Ingolstadt. Den Arbeitskreis gibt es seit 1981, Mitglieder sind Studierende, ehemalige Studierende, die heute überall verstreut in Europa arbeiten und einige Bürgerinnen der Stadt. Der Shalompreis ist einer der höchstdotierten Menschenrechtspreise in Deutschland. Zustande kommt er ausschließlich durch Spenden. Unsere Arbeit ist ehrenamtlich.
Warum ich hier heute spreche: Weil Menschenrechte nicht teilbar sind, nicht für einige Menschen keine Geltung haben. Der Kompass ist das Grundgesetz. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Dabei ist nicht relevant, welche Hautfarbe jemandhat, woher jemand kam, welcher Religion sie oder er angehört, welche sexuelle Präferenz jemand hat oder ob jemand für die Gesellschaft ‚nützlich‘ ist, also gilt sie selbstverständlich auch für Menschen, die nicht arbeiten können.
Beruflich bin ich Freie Journalistin und Sozialarbeiterin in einer Beratungsstelle. Das sage ich deshalb, weil ich mit sehr vielen Menschen aus unterschiedlichen Bereichen in Kontakt komme und vieles höre. Manchmal denke ich, was wäre, wenn all die Menschen mit Migrationshintergrund, wie sie genannt werden, einen Tag nicht arbeiten würden. Kein Krankenhaus, kein Altenheim, keine Sozialstation, kein Tech-Unternehmen, kein Postverteilzentrum, keine Großbäckerei würde mehr arbeiten können.
Viele fragen, warum erst jetzt die Demonstrationen im ganzen Land stattfänden. Es ist richtig, dass lange bekannt ist, dass rechtsradikale Parteien wie die AfD Teile der Gesellschaft ausgrenzen, Hetze betreiben und Hass säen.
Meine Motivation, mich für Menschenrechte einzusetzen, ist in einem Satz von Nobelpreisträger Bischof Desmond Tutuausgedrückt. „Wenn du in Situationen der Ungerechtigkeit neutral bist, hast du dich auf die Seite der Unterdrücker gestellt.“
Wir dürfen nicht schweigen, wenn die Schwächsten angegriffen werden. Zu diesen gehören immer Minderheiten, Menschen die von den Rechtsradikalen als ‚anders‘, nicht zugehörig, bezeichnet werden.
(Nach dem 7. Oktober 2023, dem Überfall der Hamas-Terroristen auf Israel, der Ermordung, Entführung und Geiselnahme, sagte ein siebzigjähriger Mann zu mir: Ja, das ist wie 1943 als plötzlich alle Juden weg waren und unsere Städte zerstört wurden. Ich habe ihm widersprochen. Die Ausgrenzung, die systematische Diskriminierung von Jüdinnen und Juden fand viel früher statt. Alle, die schwiegen, die wegsahen, natürlich die, die mitmachten, als Synagogen angezündet wurden, als Geschäfte geplündert wurden, als Jüdinnen und Juden, als Sinti und Roma, als Kommunisten, Sozialdemokraten, Homosexuelle, Menschen mit Behinderungen, psychisch kranke Menschen, alle, die nicht mit der Diktatur einverstanden waren, in KZs gebracht wurden, haben einen Anteil daran.)
Wir wissen alle nicht, wie wir in der Zeit des Nationalsozialismus gehandelt hätten. Aber wir können heute etwas tun.
Es ist ermutigend, dass so viele demokratische Parteien hier sind, dass Vertreterinnen und Vertreter der Kirchen, der Verbände mit eingeladen haben.
Das Grundgesetz ist ein großes Geschenk, eines, das dieses Jahr seinen 75. Geburtstag feiert. Es ist aber in Gefahr. Was alle Extremisten und dazu zählt die AfD, immer zuerst tun, ist die Gewaltenteilung zu zerstören, sich der Gerichte zu bemächtigen und den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk zu kapern. Es ist ernst, in Europa, in den USA. Ungarn ist ein Negativbeispiel und zeigt, wie die Freiheit und Demokratie beschnitten werden können, wie schwierig es ist, zurück zu Rechtstaatlichkeit zu finden, wenn die Gerichte nicht mehr neutral sind, zeigt Polen derzeit. Die Postfaschisten und Rechtsradikalen sind keine Freunde der Armen. In Italien wehrt sich Meloni und ihre rechtsradikale Partei gegen einen Mindestlohn, die Sozialhilfe für Bedürftige wurde einfach abgeschafft. Mitgeteilt wurde das den Betroffenen per sms.
Die AfD ist keine Protestpartei.
Als Putin Krieg wollte, haben wir an Zusammenarbeit geglaubt, als Trump an die Macht wollte, hielten viele von uns das für einen Witz, auch den Brexit hielten viele nicht für möglich. Als Rechtsadikale in einer Villa bei Potsdam Pläne schmiedeten, wie man Menschen, die sie nicht für zugehörig halten, deportieren kann, war es erst einmal auch da ruhig. Aber nun gehen viele Menschen auf die Straße. Das ist gut und richtig. Ich finde diese Demonstration deshalb so ermutigend, weil hier Menschen sind, die f ü r etwas stehen. Für Rechtsstaatlichkeit. Wir müssen den Chrupallas, den Höckes, den Weidels sagen, dass wir die Demokratie verteidigen werden. Es mag für viele langweilig klingen, in eine Partei einzutreten, sich für konkrete Dinge einzusetzen. Hier auf diesem Platz sind Vertreterinnen und Vertreter der Parteien, die genau das tun. Überlassen wir nicht den Rechtsradikalen das Feld, engagieren wir uns politisch in Parteien.
Noch ein Wort zum Thema Migration. Es ist ein Menschenrecht, zu fliehen, wenn jemand an Leib und Leben bedroht ist. 85 Prozent aller Geflüchteten fliehen innerhalb des eigenen Landes oder in Nachbarländer. Menschen, die es hierher schaffen, sind nicht, weil sie ohne Visum kommen, illegal. In Ländern wie Syrien oder Afghanistan gibt es überhaupt keine Botschaft, um ein solches zu beantragen. Die allermeisten Flüchtlinge würden gerne in ein Flugzeug steigen, um zu fliehen. Aber das ist nicht möglich. Seenotrettung ist daher eine Pflicht und darf niemals kriminalisiert werden. Es ist sehr gefährlich, wenn allmählich für unsagbar gehaltene Sätze zur Normalität werden, schleichend wir für normal halten, dass jeder 14. Mensch, der über das Mittelmeer flieht, ertrinkt. Darauf weist immer wieder auch Papst Franziskus hin.
Hier in Eichstätt befindet sich die Abschiebehaft. Wichtig zu wissen, ist, dass die dort gefangenen sind, keine Straftaten begangen haben. Denn sonst wären sie in einer JVA. Und anders als Häftlinge dort, haben die Menschen in der Abschiebehaft keinen Anspruch auf Rechtsbeistand. (Ein Anwalt hat einmal gesagt, wenn einer der dort Gefangenen, jetzt einen Kuli vom JVA-Beamten nähme, hätte er eine Straftat begangen und hätte das Recht auf eine Anwältin, einen Anwalt.) Ein Mitarbeiter der Jesuitenmission und andere Freiwillige versuchen zu helfen, wo es geht.
1938 fand in Evian eine Flüchtlingskonferenz statt. Da war schon klar, wie es jüdischen Menschen in Deutschland gehen würde. Neun europäische Länder, lateinamerikanische Länder und die USA fanden sich ein. Der Vatikan entsandte einen Beobachter. Die ernüchternde Bilanz des US-Botschafters, die er seinem Präsidenten übermittelte, war: „Ich muss Ihnen reinen Wein einschenken. Keines der Länder hat Interesse, Flüchtlinge aufzunehmen.“
Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1956 ist eine Reaktion auf den Millionenfachen Mord an den Europäischen Juden und der fehlenden Möglichkeit, fliehen zu können.
Bisher ist außer Nordkorea auch niemand aus der Konvention ausgetreten.
(Meinen nicht zu viele, dass sie sich eine Beobachterrolle leisten können und sie das ja nicht betrifft?) Erinnert sei an die Worte Pastor Martin Niemöllers: „Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Kommunist. Als die Nazis die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“
Ich wünsche mir und Ihnen, Euch, dass wir den Mut haben, zu reagieren, wenn jemand Sätze sagt, die im zweiten Teil ein Aber haben. „Ich habe nichts gegen Ausländer, gegen Flüchtlinge, aber…“ „Ich habe nichts gegen Juden, aber…“ Dann folgen häufig die gehässigen Teile, die Vorurteile, zum Teil jahrhundertealter Hass, von Generation zu Generation weitergetragen.
Eine Freundin, die ich über die Malteser kennengelernt habe, ist mit ihrem Mann und damals zwei Kindern aus Syrien geflohen. Er ist Journalist, sie hat Psychologie studiert, konnte aber wegen des Krieges ihr Studium in Damaskus nicht beenden. Der Mann arbeitet heute im Schichtbetrieb in einer Firma und sie studiert hier in Eichstätt weiter. Sie erzählte mir, ohne Vorwurf, aber traurig, dass, wenn sie zum Beispiel an der Supermarktkasse stünde, zögen manche Leute an ihrem Kopftuch oder sagten, sie solle das abnehmen. Sie sage dann, das ist ein Kopftuch wie bei Maria.
Letzte Woche wurde im Bundestag der Befreiung von Auschwitz gedacht. Der 79. Jahrestag. Der Sportjournalist Marcel Reif hielt eine bewegende Rede und zitierte seinen Vater, einen Überlebenden des Holocaust. Nur ein kleiner Satz, den Marcel Reif immer wieder von seinem Vater hörte: Sei a Mensch – sei ein Mensch. Diesen kleinen, großartigen Satz seines Vaters Leon wolle er gerne im Bundestag lassen.
(Alle Redner und Rednerinnen schlugen den Bogen ins Heute, zu den neuen Ängsten von Jüdinnen und Juden, zur Stärke rechter Parteien und zu den Massendemonstrationen für Demokratie und gegen Rechtsextremismus im ganzen Land.) Marcel Reif, der für die zweite Generation der Holocaustüberlebenden sprach, sagte: Nie wieder ist mitnichten ein Appell, nie wieder kann nur sein, darf nur sein – ‚nie wieder‘ muss sein – gelebte unverrückbare Wirklichkeit. Vieles, was nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober in Deutschland geschehen sei, habe ihn entsetzt. „Aber was da zuletzt zu sehen war, die großen Demonstrationen der Aufrechten, das macht mir Hoffnung.“
Ganz ähnlich beschrieb es die 91jährige Eva Szepesi. Sie war mit elf Jahren aus dem von den Nazis besetzten Ungarn in die Slowakei geflohen und von dort im November 1944 nach Auschwitz verschleppt worden. „Eiseskälte schlug mir entgegen“ erinnerte sie sich an den Moment als die Waggontür des Zuges an der Rampe des Vernichtungslagers aufging. Sie musste sich nackt ausziehen. „Ich hatte die blaue Jacke an, die Mama für mich gestrickt hatte und brachte es nicht übers Herz sie auszuziehen.“ Am Ende tat sie es doch. Als ihr die Zöpfe abgeschnitten wurden, der Kopf kahlgeschoren, starrte sie entsetzt auf ihre Haare am Boden. „Es war so als ob man mir den letzten Schutz genommen hätte.“
Als wenige Wochen später die Sowjetarmee in die Nähe des Vernichtungslagers kam, war Szepesi zu schwach für den von den Nazis befohlenen Abmarsch. Sie blieb zwischen Leichen verstorbener Frauen liegen. Ein sowjetischer Soldat fand sie dort und kühlte ihr mit geschmolzenem Schnee die Lippen. „Es war der 27. Januar 1945 und ich lebte.“
Es erschrecke sie, sagte sie im Bundestag, dass wieder rechtsextreme Parteien gewählt würden. „Sie dürfen nicht so stark werden, dass unsere Demokratie gefährdet wird. Wir sind kurz davor.“ Noch fühle sie sich von der Demokratie geschützt. Es sei großartig, dass so viele Menschen in den letzten Wochen auf die Straße gegangen seien, um gegen Rechtsextreme zu demonstrieren.
Nun wünsche sie sich auch lauten Widerspruch, wenn im Bekanntenkreis antisemitische oder menschenfeindliche Äußerungen fallen. Den Menschen, mit denen sie spreche, sage sie: „Ihr habt keine Schuld für das, was passiert ist. Aber ihr habt die Verantwortung für das, was jetzt passiert. Nie sei ihr wichtiger gewesen, Zeugnis abzulegen. „Denn nie wieder ist jetzt.“
